Über meine Arbeit

“Für mich gleicht das Malen dem Schwimmen, so wie wenn man sich vom Ufer allmaehlich entfernt, von einer Zone, die von der Sprache und vom Bewusstsein beherrscht wird. Es ist wie das Schwimmen ins offene Meer des Inneren. In der Konzentration waehrend des Malprozesses erfahre ich die Aufllösung meiner selbst als Ganzes. Ich kann sogar mit meinem Ich das Andere in mir beobachten. Das Bild, das auf diese Weise entsteht, traegt die Spuren dieser Selbstbegegnungen und Selbstgespraeche.”

Sedef Hatapkapulu

Tayfun Belgin
Direktor, Osthaus Muzeum, Hagen

WENN ERLEBTES ZUM BILD WIRD

ASSOZIATIONEN ZU SEDEF HATAPKAPULUS KUNST

Der Kunsthistoriker Max Deri sagte einmal folgendes:  “‘Künstler‘ ist vorerst jener, der imstande ist, auf Grund eines isolierten tiefen Gefühles ein Gebilde zu erstellen, das dieses Gefühl trägt … Er hat die angeborene Fähigkeit, sichtbare, hörbare oder sprachliche Gebilde zu erstellen, die dieses Gefühl tragen. Der Künstler ist demgemäß ein mehr oder minder ‚bedeutender‘ Mensch, dem erstens die Gabe besonders tiefen und intensiven Fühlens eignet und der zweitens die Fähigkeit besitzt, dieses Gefühl auch in einen objektiven Träger zu fassen.“

Diese Worte von Max Deri erscheinen mir überaus trefflich, wenn ich Sedef Hatapkapulus neueste Bilder betrachte. Die Künstlerin malt ohne Zweifel hervorragende Bilder. Sie verfügt über eine derart ausgeprägte Sicherheit, was die Beziehung zwischen Form und Farbe anbelangt, dass sie internationale Maßstäbe in jeder Hinsicht erfüllt. Im Laufe der Zeit wendete sie sich mit großer Freiheit der Weiterentwicklung der abstrakten expressionistischen Motive zu, die sie so sehr beherrscht: Während sie ihre Bilder malt, steht ihre subjektive und physische Situation zweifelsfrei im Vordergrund.

Sedef Hatapkapulu beschreibt den inneren Prozess, den sie beim Malen durchlebt, mit einer Metapher: „Ich gehe voran, indem ich mit Farben, mit Farbflecken, mit Tinte male. Es sagt, biege ab, ich biege ab, es sagt, mach zu, ich mache zu, es sagt gelb, also gelb, es sagt rosa, also rosa. Möglicherweise taucht ein mir unbekannter Ort auf. Ich weiß nicht, dass ich ihn nicht kenne; wenn ich mich freue, ihn kennenzulernen, dann bleiben sie.“

Der innere poetische Seelenzustand, der diese Bilder hervorbringt, ist es, der jene Motive, die eine Seelenverwandtschaft mit den Formen an der Oberfläche aufweisen, produziert. Stets haben wir es mit dahinfließenden Farben zu tun. Manchmal sehen wir starke rosafarbene Formen und manchmal grün-blau-rote Farbtöne. In manchen dieser Bilder, deren Natur wir als „fließend“ bezeichnen können, kann man eine Beziehung zu Helen Frankenthalers frühen Werken herstellen. Helen Frankenthalers Bilder, von amerikanischen Kritikern „stained canvasses“ genannt, entstanden durch eine Technik, bei der die Leinwand in Farbe getränkt wurde. An manchen Stellen kann man außerdem auch Anleihen aus den Formen der international anerkannten Künstlerin Maria Lassnig erkennen. Sedef Hatapkapulu war Maria Lassnigs Schülerin an der Hochschule für Angewandte Kunst in Wien. Während die österreichische Künstlerin aus der Tiefe der Erinnerungswelt hervorströmende Körperformen bevorzugt, unterscheidet sich die Istanbul stämmige Künstlerin dadurch, dass sie diese Körperformen in eine frei assoziierte Welt verwandelt.

Lenken wir unsere Aufmerksamkeit auch auf die Signatur. Die Signatur ist bei solch unnachahmlichen Werken sehr wichtig, denn sie „trägt“ das Bild. Die Signatur ist es, die ein Bild von einem anderen unterscheidet, dem Bild eine spezifische Identität gibt und Farbe und Form in einem harmonischen Gleichgewicht zusammenführt. Sedef Hatapkapulus Formensprache ist überaus breit gefächert. In Werken aus ihrer frühen Zeit finden sich lebhafte Makroformen mit harten Ecken und klaren Konturen, die kraftvoll miteinander kollidieren. Aufgrund ihres originellen und verspielten Charakters erscheinen diese Bilder wie „abstrakte“ Karikaturen und unterscheiden sich diametral von den oben beschriebenen „fließenden“ Formen. Die kraftvolle Seite von Sedef Hatapkapulus Kunst sind die prozessualen Werke, die einer nicht konkreten Ordnung der Metapher unterliegen. Sie sind es, die ihre Seelenlage derzeit am meisten ansprechen.

Wenn die Künstlerin auf dem Weg zu den Prinzeninseln vom Fährschiff aus die Möwen beobachtet, die die große Intensität des Wassers spüren, wenn sie aus dem Meer, in das sie eintauchten, wieder aufsteigen, um ihre Kreise zu ziehen, weiß sie, dass das nächste Bild nicht mehr fern ist. Beim Betrachten ihrer Bilder befinden wir uns in einem ähnlichen Seelenzustand und genießen es. Ihre Bilder sind auch unsere Bilder. Kann es etwas Schöneres geben?

Prof. Semra Germaner Über Malerei Sedef Hatapkapulu

Die zeitgenössische Künstler/innen  nimmt bewusst Abstand von der Aesthetikauffasung der früheren Jahrhunderte und sucht spezifische Ausdrucksformen für die in permanenter Veraenderung befindlichen Lebensumstaende, denen der Mensch ausgesetzt ist. Waehrend er/sie die  ’anonyme’ Sprache ablehnt, ist sein/ihr Schaffen von dem künstlerischen Unbehagen gekennzeichnet, eine  ’eigene’ Sprache zu entwickeln.

Die Existenz des Künstlers/ der Künstlerin setzt die Distanzierung von der  ’Anonymitaet’ und dadurch eine Überschneidung des Lebens mit der Kunst voraus. Diese Auffassung stellt das wichtigste Kriterium für die Bildung einer Identitaet als KünstlerIn dar und setzt zugleich einen schmerzhaften, mühsamen Prozess voraus, der die Extraktion der Gefühle sowie deren Wertung und Übersetzung in die  ’plastische’ Sprache beinhaltet.

Diese Auffassung ist auch bei Sedef seit Beginn ihres künstlerischen Schaffens in den achtziger Jahren zu beobachten. Es ist als Zeichen ihrer Professionalitaet aufzufassen, dass die bei der Übertragung der durch die Emotionen in ihrer Innenwelt entstandenen Bedeutungen auf die Leinwand das  ’Abstrakte’ bevorzugt.

Selbstverstaendlich ist eine repraesentative Sprache für diese Art von Subjektivitaet unzulaenglich. Betrachtet man die Beschreibungen der Bilder als  ’Gestaendnisse und Erlaeuterungen’ der Künstlerin, so wird deutlich, dass weder die mündliche oder schriftliche, noch die symbolische Sprache für sie ausreichend sind und das  ’Abstrakte’ ihr als einzige Ausdrucksmöglichkeit bleibt.

Die Bilder von Sedef sind Ausdruck des Erlebten und das Erlebte gleitet uns rasch aus der Hand. Es  ’’schmilzt’’ –so Sedef- und entkommt uns, wir können es auch nicht durch die  ’’Schriftsprache’’ festhalten. Diese ’Momente’, die vergaenglich sind und eine gewisse Trauer in sich bergen, sind nur durch Gefühle wahrzunehmen und mit Farben auf die Leinwand zu übertragen. ’’Malen…’’, so beschreibt Sedef den Malakt, ’’das ist wie schwimmen: so wie man sich vom Ufer entfernt, entfernt man sich von der Sprache, von der Welt, in der das Bewusstsein regiert.’’

Die Gefühle, die man wahrnimmt und aber wieder verliert, begegnen dem/ der KünstlerIn in ihrem Unterbewusstsein in neuen Formen. In dieser Phase entdeckt er/sie die Tiefen seines/ ihres Unterbewusstseins und entfernt sich von der Banalitaet des Alltags, indem er/sie spielerisch die offenen und versteckten Inhalte der Formen zur Schau stellt.

Sedef’s neue Bilder, die sie unter dem Titel ’’Moskau-Spuren’’ ausstellt, illustrieren mit Sicherheit einen wichtigen Lebensabschnitt der Künstlerin dar, ihre innere Landschaft, ein fremdes Klima, eine fremde Kultur, eine neue Stadt und ein neues Leben. Das Neue und das Fremde wird möglicherweise durch ’’Schlaege’’ an das ’’Ich’’ der Künstlerin in neuen Formen in ihre Gefühle, ihre Wahrnehmungen und ihr Werk einfliessen.

Ayşegül Sönmez
Kunstkritikerin

Über die Bilder Sedef Hatapkapulu

Die Ausstellung „Don Quijote am Strand“ zeigt eine Serie von Bildern, die die Natur der Künstlerin und den Wechsel zwischen Mühen und Freuden ihrer Existenz widerspiegeln. Die Bilder enthalten ins Gedächtnis eingravierte Zeichen der Mühe oder Freude, der Angst oder Lust. Sind diese Bilder in gewisser Weise das Tagebuch der Künstlerin? Oder sind sie – gleich einer Tätowierung – bleibende, nicht wegzuwischende Zeichen der Lebenserfahrung auf Leinwand, die sich der Zeit und der Leere widersetzen?

Die Lebenserfahrung der Künstlerin in diesen Bildern erinnern eher an Notizen denn an ein Tagebuch. Allerdings sind dies keine zufälligen Notizen. Es sind vielmehr Notizen zufälliger Momente. Es sind Bilder wie So war Istanbul damals! oder Selbstportrait als Qualle, die zufällige Momente in bleibende Erinnerungen verwandeln. In einem bestimmten Augenblick tauchen sie auf und zeigen, wie sich dieser Augenblick, diese Erinnerung mittels Farbe auf Leinwand in eine Erfahrung, in einen Lebensmoment verwandelt. Tatsächlich stellen die Bilder der Ausstellung Don Quijote am Strand die Konstruktion einer Identität dar, in die die Künstlerin sich selbst einfließen lässt und die sie mittels Selbstportraits umsetzt. Dementsprechend erklärt diese Konstruktion einer Identität gleichzeitig einen Identitätsverzicht und in gewissem Sinne auch  Befreiung.

Die Malpraxis der Künstlerin basiert genau darauf: Sich zu übersetzen. Sich sich selbst zu übersetzen. Und uns? Den Augen der Betrachter? Dies ist die grundlegendste Frage, die die Künstlerin stellt. Vielleicht ist der Moment, in dem Sedef Hatapkapulu auf andere mit anderen Augen trifft, genau der Moment, in dem sie ihre Werke in der Galerie ausstellt. Sie bemalt die Leinwand nicht für den Betrachter, sondern für sich selbst, mit Acryl oder Ölfarben und ein paar unterschiedlichen Pinseln, ohne das Erlebte zu vergessen, dem Vergessen preiszugeben, wie eine Chronistin der Gefühle. Die Leinwand, jene große Leere, wird mal gefüllt, mal allmählich ausradiert und so in ein Meer der Erfahrungen verwandelt. Auf dieser Ausstellung gezeigte Werke wie Meine Rippen, Mein Herz ist ein ungekochtes Ei und Herz und Luftröhre übermitteln einen wichtigen Hinweis auf dieses Farbenmeer, auf die Leere, die teilweise ausradiert wird. Beide bringen uns Neuigkeiten über das Farbenmeer, in dem die Künstlerin die Betrachter bislang mit der von ihr angewendeten Maltechnik schwimmen ließ. Für diese ausradierte Leere präsentiert sie ganz neue Panoramen.

Die Spannung zwischen Herz und Luftröhre, bei dem die Künstlerin die Leere mittels Ausradieren füllt, und Meine Rippen, bei dem sie die Leere mittels Füllen ausradiert, wird unsere Seele nicht nur kurzfristig zerstreuen, sondern uns vielmehr anregen, angesichts der überaus subjektiven Produktion der Künstlerin über ihre Identität als Frau nachzudenken.

Dies ist außerordentlich wichtig. Als Malerin steckt Sedef Hatapkapulu in einem Schaffensprozess, in dem sie sich mit all ihrer Subjektivität zum Material macht. Es ist notwendig, die Identität der Malerin solcher Bilder im Zusammenhang mit den dadurch entstehenden Werken zu sehen. Diese Notwendigkeit bedeutet nicht, dass man die traditionelle Sichtweise verteidigt, Werke von Frauen wären durch ihr natürliches Geschlecht determiniert. Ganz im Gegenteil: Um weibliche Stereotypen zu vermeiden, ist man gezwungen, einerseits die Vielfalt der von Frauen geschaffenen Kunstwerke und andererseits die Spezifität der Künstlerinnen und ihrer Werke einzeln hervorzuheben. Genau das bringt uns an diesem Punkt dazu, die Einzigartigkeit an Hatapkapulus überaus subjektivem Werk zu sehen.

Andersartigkeit ist eigentlich kein essentieller Fakt, sondern ein gesellschaftliches Konstrukt, das Männer und Frauen im Hinblick auf Sprache, auf gesellschaftliche und wirtschaftliche Kraft und Bedeutung in asymmetrische Orte positioniert. Welche Hinweise sehen wir diesbezüglich in Sedef Hatapkapulus Malpraxis, von der wir behaupten können, dass sie keine gesellschaftliche oder repräsentative Kunst macht? Spiegelt sich jenes Konstrukt in ihrer Art zu malen wider?

Folgende Antwort erscheint richtig: Ein Bild zu malen bedeutet, sowohl im Hinblick auf die Technik als auch auf die Bedeutung neue und unerwartete Wirkungen als Folge der Erfahrung, die man mit dem Abgebildeten erlebt, zu entdecken. Alle faktischen Elemente, die die gesellschaftliche Praxis des Malens formen, sind dieselben Elemente, die dafür sorgen, dass der Künstler entsprechend seiner gesellschaftlichen und seelischen Position seine Bilder schafft. Dementsprechend ist Hatapkapulus visuelles Schaffen nicht die Widerspiegelung ihrer Welt auf uns, sondern eigentlich zurück auf sich selbst. In diesen abstrakten Landschaften, auf Bergen und Hügeln, in winzigen Bläschen, manchmal in kratzenden Pinselstrichen, manchmal in einem See aus verwischten, reduzierten, verlaufenen Farben, in dieser Bilderserie, die in nichts dem ähnelt, was wir in der äußeren Welt sehen, ist nicht die äußere Welt selbst existent, sondern das, was sie uns fühlen lässt. Was vom Gefühl übrig bleibt, wird an die Farbe übergeben, an die Berührung evozierende Form. Murat und Ali flogen nach Moskau etwa weist womöglich auf einen traurigen Moment hin. Vielleicht erzählt er vom Sich losreißen und Verlassen. Kleine, voneinander unabhängige Teilchen bewegen sich auf der Leinwand und treiben schwerelos wie ein ins All geschleudertes Objekt. Das Einzige, was wir vielleicht tun können, ist, diesen großen und kleinen dahintreibenden Formen hinterher zu winken. In ihren Bildern, in denen Hatapkapulu nicht das Ereignis, sondern das davon übrig gebliebene Gefühl darstellt, kehren Erinnerungen und Momente in dieser Form zurück und brechen nach kurzer Zeit mit Gewalt hervor; was sich im Inneren ansammelt, ist Leben. Auf diese Weise reicht das Bild über unser Wissen hinaus. Die Erweiterung unserer Vorahnung, die Überbleibsel von Trauer und Freude zeigt.

Ist es möglich, aus diesen Momenten, die sich im Bild verwandeln, sich mit dem Bild gemeinsam transformieren, aus diesen Überbleibseln des Lebens ein neues Leben zu formen? Es könnte möglich sein. Wahrscheinlich ist die Zukunft lange vor ihrem tatsächlichen Eintreten in uns eingedrungen, um sich zu verwandeln, jener auf den ersten Blick ereignislose und blasse Moment dem Leben sehr viel näher als die von außen an uns herantretenden sprechenden und zufälligen Momente.

Es muss möglich sein, das Bild der Künstlerin, in dem sie selbst Erlebtes in selbst Gesehenes transformiert, als Unser Teil des Panoramas in unsere eigenen Erfahrungen einzuverleiben. Um teilzuhaben an der Nähe zu einem Leben und vielleicht, um sie nicht allein zu lassen. Wir stehen kurz davor, in unserem tiefsten Inneren eine Nähe zu ihr zu verspüren. Die Unterwerfung der blauen und grünen Flächen in dem Bild Unser Teil des Panoramas unter die Leere, das Persönliche appelliert an uns, den Betrachter. Ein Appell an die Einzigartigkeit. Das Flüstern, dass du dein eigenes Panorama selbst schaffen kannst.

Von Hässliches Panorama bis Mein Vater ging zum Mars erwartet uns ein großes Abenteuer zwischen dem, was die Künstlerin dokumentiert und dem, was der Betrachter dokumentiert haben möchte. Wir können Durch Tunçs Auge sehen und unser eigenes Auge zusammenkneifen, ohne unsere Augen auf die Probe zu stellen. Leben oder Tod? Malerei oder Leben? Die Antwort wird sowohl Malerei als auch Leben lauten. Dank der Malerei und des Lebens werden das Alte und das gerade Verlorene noch einmal aktualisiert, noch einmal durchgesehen, bevor es zu den Erinnerungen gepackt wird; das Neue bereitet sich vor … So wird es stets weitergehen.

Ayşegül Sönmez, September 2009.